Die Krönung des Königs im Punakha Dzong am 1.11.2008
Die Krönung von S.M. Jigme Khesar Namgyel Wangchuck, 5. König von Bhutan oder Druk Gyalpo (Drachen König) im Punakha Dzong am 1. November 2008
von Harald N. Nestroy
Dieses historische Ereignis, dem das Volk von Bhutan mit großer Vorfreude entgegengesehen hatte, bestand aus zwei Teilen: der spirituell-religiösen und der formalen, eher staatsrechtlich zu nennenden Krönung. Die Astrologen, hochrangige Lamas, hatten nach langem Suchen mit Hilfe ihrer uralten Tabellen den 1. und den 6. November 2008, im bhutanischen Kalender der 8. und der 13. Tag des 9. Monats des Erd-Ratten-Jahres als die besten Glück verheißenden Tage für die beiden Ereignisse errechnet; das erstere im Dzong von Punakha, das zweite im Dzong der Hauptstadt Thimphu.
Procedere und Protokoll der spirituellen Krönung der bhutanischen Könige gehen zurück auf Guru Padmasambhava, selbst von fürstlichem Geblüt. Dieser erleuchtete Lama hatte den ersten buddhistischen König, Trisong Detsen, in Tibel gesalbt; für diese in den Geschichtsbüchern als erste vermerkte buddhistische Krönung hatte er die Segnung mit Namen „Ngawang Rinchen Barwai Wangkur” ( Weihe des Strahlenden Juwel der Souveränität ) eingeführt. Padmasambhava, in Bhutan als lebender Buddha verehrt, brachte den Buddhismus und diese spirituelle Krönungszeremonie im 8. Jahrhundert nach Bhutan. Von da an ist sie, wie in den Chroniken berichtet, für die Krönung der regionalen bhutanischen Fürsten verwendet worden.
Shabdrung Ngawang Namgyal, der tibetische Abt, der im 17. Jahrhundert Bhutan die erste relative homogene politische und staatliche Einheit brachte, bestätigte diese Zeremonie 1656: als er nämlich Tenzing Dugyel als den ersten Deb Raj (weltliches Staatsoberhaupt) und Pedar Jungye als ersten Dharma Raj or Je Khenpo ( spirituell-religiöses Oberhaupt) von Bhutan einsetzte.
1907 wählten die andern 17 der 18 bhutanischen Fürsten Ugyen Wangchuck, Penlop oder Fürst von Trongsa, zum ersten Erbkönig Bhutans. Mit seiner Krönung im Dzong von Punakha wurde die Tradition der beschriebenen Krönungszeremonie auf die Krönung aller bhutanischen Könige übertragen.
Für seine spirituelle Krönung trifft S.M. Jigme Khesar Namgyel Wangchuck, der 5. König Bhutans, am 31. Oktober 2008 in Punakha ein; begleitet von der königlichen Entourage, zu der I.M. Ashi Dorji Wangmo, eine der vier Ehefrauen S.M. des 4. Königs, sowie der Premierminister Jigmi Y. Thinley, etliche Minister und andere Würdenträger gehören.
Die Klänge der “Serda”, der traditionellen Begrüßungsmusik, gespielt von den malerisch auf einem der Dächer der Burg aufgestellten Mönchen des Orchesters der Klosterburg, heißen den König willkommen. Der eindruckvollste Dzong Bhutans erstrahlt in prächtigem Schmuck aus goldenen Volants ( Chenzin ) entlang aller Dachkanten, bunten Fahnen, Bannern und zusammengefalteten riesigen königlichen Schirmen (Dug), die an den Dachecken der drei mächtigen Tempeltürme der Burg (Utze) in der leisen Briese schwingen.
Die nur dem König und hochrangigen Geistlichen wie dem Je Khenpo vorbehaltene “Große Prozession” (Grand Chhipdrel) steht bereit: reiterlose, prächtig gesattelte und geschmückte Pferde, darunter ein Rappen-Hengst, dessen schwarze Sattldecke rot-weiße Schädel zieren, das Reittier der lokalen Schutzgottheit. Dann, in buntesten mittelalterlichen Uniformen und Gewändern, 62 Träger von Fahnen und Bannern; zahlreiche Musiker mit allen vorstellbaren traditionellen Musikinstrumenten, vor allem Trommeln, albhornartigen langen Trompeten, Kesseloboen, Zimbeln, Riesenmuscheln, etc.; Sänger und mit Schwertern gegürtete Tänzer mit kleinen Schädeltrommeln, die mit ihrem Tanz und Gesang böse Dämonen vertreiben; Soldaten mit stahlpolierten Helmen, Schwertern, Luntengewehren, Bögen und Pfeilen; Mönche in roten Roben, auf dem Haupt rote Hüte, die an die Mitra katholischer Bischöfe erinnern.
Zum Klang der mittelalterlich anmutenden Musik schreitet die Prozession, diese Kette von sicherlich 200 bunt gekleideten Gestalten, dem König voran; sie geleitet ihn über die hölzerne überdachte Kragbrücke hinüber zum Punakha Dzong. Diese Brücke, in perfekt traditioneller Architektur erst
kürzlich fertig gestellt, ist das Geschenk von „Pro Bhutan e.V.“ zur Krönung und zum Jubiläum „100 Jahre Wangchuck Monarchie“. Am Haupteingang zur Burg vorbei begibt sich die Prozession und der König zum “Lingka”, dem königlichen Gartenpalast hinter der Klosterburg. In seinem schattigen Park nimmt der König den “Marchhang”, die traditionelle Begrüßungszeremonie, entgegen, die vom Chamberlain des 4. Königs vollzogen wird.
Danach wird der König von der königlichen Entourage zur riesigen Fest wiese nahe der Burg am Flussufer des Mochhu begleitet. Annähernd 10.000 Bhutaner, von einfachsten Bauern, Handwerkern, Händlern aus dem ganzen Land über niedere bis höchste Beamte, alle Regierungsmitglieder, alle Abgeordnete des neuen Parlaments, die gesamte engere und weitere königliche Familie sind versammelt. Lieder und Tänze, dargebracht von den so unterschiedlich prächtig gekleideten Gruppen aus allen Landesteilen, unterstreichen die kulturelle Vielfalt, den kulturellen Reichtum Bhutans. Ein Tournier mit Pfeil-und-Bogen, dem Nationalsport Bhutans, wird mit Spannung verfolgt. Der junge König nimmt neben Schützen aus den Dörfern und Prinzen unbefangen daran teil; er schießt ausgesprochen gut.
Die anschließende “Tokha”, die Speisung der gesamten Zuschauermenge, ist eine logistische Meisterleistung. Und ein rührender Beweis der Volksverbundenheit der Könige, Königinnen, Prinzen: sie teilen eigenhändig Essen aus, helfen den Hunderten von Studenten und Schülern, die in schweren Schüsseln und Körben Reis, Fleisch und Gemüse durch die Gassen der in Reih’ und Glied Rücken an Rücken auf dem Rasen Sitzenden, füllen den Napf, die jeder mitgebracht hat. Die Speisung der 10.000 ist nach knapp 2 Stunden beendet!
Der 1. November ist der große Tag: früh am Morgen betritt der König, von der Großen Prozession angeführt, die Burg zu seiner spirituellen Krönung, wie alle seine vier Vorgänger. Sie findet statt im “Machhen Lhakang”, dem geheimen Tempel. Hier liegt der Gründer Bhutans, Shabdrung Ngawang Namgyal, einbalsamiert aufgebahrt und wird als lebender Gott verehrt. Dieser Tempel ist so heilig, dass ihn nur der jeweilige König,Seine Heiligkeit der Je Khenpo sowie Seine Eminenz, der Machhen Zimpon, Chamberlain des aufgebahrten Shabdrung, betreten dürfen. An der heutigen Zeremonie nimmt diesmal auch der 4. König teil. Spärliche Berichte über den Inhalt der Zeremonie beruhen vornehmlich auf Aussagen von einigen wenigen hochrangigen Hofbeamten, die schon die Krönung des 4. Königs 1974 vorbereitet hatten und daher Einblick in Ablauf und Inhalt der spirituellen Krönung hatten.
Danach führt der Je Khenpo, in symbolischer Vertretung des Shabdrung, die Rituale durch. Während dieser geheiligten Zeremonie sitzt der König in beispielhafter Demut auf dem Boden, lediglich auf einem Teppich, nicht auf einem Thron. Der Je Khenpo überreicht unter gesungenen Gebeten in vibrierenden Bass dem König die “Dar Na-Nga”, die 5 seidenen Schals, die jeder in einer der Ur-Farben für eines der buddhistischen kosmischen Elemente gehalten sind; weiß für Wasser, gelb für Erde, rot für Feuer, grün für Luft, blau für Raum. Diese Elemente sind die Grundlage für die physische Existenz, die der König ebenso wie die dahinterstehenden Elemente personifiziert, aus denen die physische Welt geschaffen ist.
In diesem für ihn so entscheidenden Moment visualisiert der König in tiefer Andacht die Gegenwart des Shabdrung. Dann opfert er je einen den weißen Seidenschal, einen „Khada“, den Gottheiten Legon Jarog Dongchhen, Yeshey Goembo und Palden Lhamo, den Schutzgottheiten des Shabdrung.
Mit Empfang der 5 Schals ist dem neuen Souverän die spirituelle, geistige und moralische Kraft des Reichsgründers übertragen worden. Seine Transzendenz von einem gewöhnlichen Sterblichen in die Personifizierung der göttlichen Weisheit ist vollzogen.
Im Wege der Übertragung der Kraft des Shabdrung durch den Je Khenpo ist der König zu einer Personifizierung der Manifestation einerseits von Yeshey Geombo oder Mahakala als „Höchster Krieger“ , des Obersten Schutzgottes Bhutans geworden; andererseits von Jarog Dongchhen; diese Gottheit steht mit ihrem Schrecken erregenden Rabenkopf und ganz in Schwarz dargestellt.
Dafür, dass alle Farben des Kosmos im Schwarz absorbiert und aufgelöst werden, ebenso wie alle Begriffe und Formen in Mahakala aufgehen. Schwarz als totale Abwesenheit jeglicher Farben steht für die endgültige oder absolute Realität, die alle Erscheinungen und Formen überlagert. Der König ist nunmehr als “Dharma-König” der Beschützer des Dharma, der göttlichen Gesetze. Damit steht er jedoch nicht über denselben, sondern ist ihnen wie jedes Wesen im Kosmos unterworfen. Dieses Verständnis der Rolle eines Königs in Bhutan unterscheidet sich drastisch vom Begriff der von Gott abgeleiteten Macht eine Königs, der damit über den Gesetzen steht: ein Konzept des Königs als de facto eines „göttlichen Autokraten“, das noch in etlichen Monarchien anzutreffen ist.
Nach dieser heiligen Zeremonie, der spirituellen Krönung im geheimen Machhen Lhakang begeben sich der nun geweihte König, der 4. König und der Je Khenpo über den Burghof in den “Kuenra”, den prächtig ausgeschmückten, Dom-hohen größten Tempel der Burg, dessen Prunk und Schönheit überwältigen. Im Schneidersitz nehmen sie Platz auf ihren goldenen Thronen, den “Zhug-tri“; der des neuen Königs, höher und prächtiger, im Zentrum vor der gut 10 Meter hohen Statue des goldstrahlenden Buddha Maitraya mit seinem gütigen Gesichtsausdruck; die Throne des 4. Königs und des Je Khenpo rechts und links vor den nur wenig kleineren Stauen des Padmasambhava und des Shabdrung. Zwischen den haushohen vergoldeten Säulen der Halle sitzen in langen Reihen die Mönche mit ihren Musikinstrumenten und singen die Gebete; rechts und links dahinter die der geladenen Gäste, nur Bhutaner, die Herren in festlichen farbenfrohen Ghos, die Damen in elegantesten Kiras, alle zusammen etwa 300 Personen, die das Privileg haben, der nun folgenden “Tashi Nga-soel”, der Glückwunsch-Zeremonie, beizuwohnen.
Zunächst der “Zhug-drel Phuensum Tshogpi Tendrey”, die Zelebrierung der “Harmonischen Erfüllung oder Verwirklichung”, bei der Mönche aus mächtigen Silberkannen allen Anwesenden Tee in die von jedem mitgeführten Schalen einschenken sowie nacheinander Früchte aller Art reichen. Es folgt der “Marchhang”, die Begrüßungszeremonie, aus dem besonderen Anlass ausgeführt von drei hochrangigen Beamten und einem Lopen, einem der höchsten Lamas des Landes.
Nun empfängt der König die 6 Symbole “Mendrey” (Mandala), “Ku” (Körper), “Soong” (Sprache), “Thuk” (Geist), “Yonten” (königliche Qualitäten ), “Thrinley” (gerechte Taten), die für ein Dharma-gerechtes Regieren des Königs unerlässlich sind.
Der Je Khenpo überreicht dem König nun – die 3 “Tshe-lha Nam-sum” Statuten, (Boddhisattvas des langen Lebens) als Sinnbild für ewiges Leben; – die 5 “Gyelwa-rig-nga”, Symbole der Kraftübertragung: “Dorji” ( Donnerkeil für Unüberwindlichkeit), “Rinchen” ( für Wohlstand), “Pedma” (für geistige Schönheit und Reinheit), “Reldri” ( für Weisheit), “Khorlo” (für alles umfassende Weitsicht); – die 8 “Tashi Zegye” (glücksverheißende Gegenstände): Spiegel, Medizin, Yoghurt, Weihrauch, Bilwa-Frucht, rechtsdrehende Muschel, Zinnober, Gelben Senf; – die 7 “Gyel-sid Na-duen”, die kostbaren Symbole des Weltenherrschers: das Rad der Lehre, den Elefant der Stärke, das Pferd der Schnelligkeit, den Juwel der Erfüllung, die Königin der Hingabe, den Minister der Weisheit, den General der Tapferkeit; – die 8 “Tashi-Tagye” (glücksverheißende Zeichen) in Silbermonstranzen: den unendlichen Knoten der Ewigkeit, das Rad der Universalität, den Lotus der Wahrheit, den Schirm der höchsten Macht, den Schatz des Wohlstands, die rechtsdrehende Muschel des Ruhmes, den Fisch der Weisheit.
Danach führt S.H. der Je Khenpo die “Ngoe-drub-langwa”- Zeremonie durch; sie steht für die Erlangung der weltlichen und spirituellen Tugenden mit dem Segen der Buddhas und Boddhisattwas durch Vollzug der Riten “Tshe-ril, Drang-gye, und Thrue-chu”. Diese Zeremonie gilt nicht nur für den neuen König, sondern auch für den 4. König, dessen Mutter, der nun Königlichen Großmutter, sowie dessen vier Frauen, die jetzt alle gleichermaßen den Titel Königin-Mutter tragen. Alle 4 gelten nunmehr als Mütter des neuen Königs, nicht nur seine physische Mutter, ein protokollarisches Meisterstück, den gleichen Rang der 4 Königinnen zu bewahren.
In der hohen Tempelhalle beenden vibrierende Gebete und Gesänge der 100 Mönche diese eindrucksvollen, Jahrhunderte alten Riten der spirituellen Glückwunsch-Zeremonie unter Leitung des Je Khenpo.
Als Abschluss folgt “Thridar”, die noch stundenlange persönliche Gratulationskur aller Anwesenden. Beginned mit dem Je Khenpo, dem 4. König, den Angehörigen der königlichen Familie treten alle Würdenträger und Gäste vor den Königsthron. Nach tiefer Verbeugung überbringt jeder einzeln dem König seine persönlichen Glückwünsche mit Überreichung eines “Khadar”, des weißen Seidenschals. Die Übergabe des 3 Meter langen Schals ist nicht leicht, schon gar nicht wenn man den Gho trägt. Man hält den Schal zusammengerafft zunächst in der linken Hand. Mit der auch 3 Meter langen Schärpe des Gho, dessen Ende ebenfalls in der Linken, vollzieht man zunächst eine tiefe Verbeugung vor dem König; dann wechselt man blitzschnell nur den Seidenschal in die Rechte, klemmt ein Ende des Schals zwischen zwei Finger, wirft den Schal (ohne das Ende loszulassen) über die linke Hand; jetzt überreicht man ihn mit beiden Händen dem König.
Der junge König dankt jedem mit freundlichen Worten, einem Handschlag mit beiden Händen, und seinem charmanten Lächeln. Erst als der letzte Gratulant sich mit erneuter tiefer Verbeugung zurückzieht, erhebt sich der König. Die Feierlichkeiten der spirituellen Krönung des 5. Druk Gyalpo im Dzong von Punakha sind zu Ende.